Mondtäuschung

Optische Täuschungen & Sehphänomene von Michael Bach

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Moon Illusion

Was sehen wir hier?

Nebenstehend sehen Sie das Bild »O Lune! … Inspire-moi ce soir quelque petite pensée …« von Honoré Daumier (1844). Der Mond sieht doch schön aus, und sehr realistisch, nicht wahr? Beim Drüberfahren mit der Maus (oder antippen) verändert sich das Bild so, wie der Mond richtig aussähe nach den Winkeln und Abständen im Bild (Irvin Rock 1984, 1995).

Die sog. Mondtäuschung bezieht sich auf zwei Aspekte: zum einen sieht der Mond viel größer aus, als er ist, zum anderen erscheint er am Horizont noch größer als am Zenit. Daumier hat den Mond so gemalt, wie er uns vorkommt wenn wir uns die Situation des Bildes vergegenwärtigen, nicht wie ein Photo ihn wiedergäbe.

Schätzen Sie mal in Körpermaßen: am ausgestreckten Arm, wie können Sie den Mond gerade überdecken? 1 oder 2 Finger, Daumen, kleiner Finger?

Antwort: Der Mond ist ca. 2/3 so groß wie die Breite des kleinen Fingers. Beim nächs’ten Vollmond ausprobieren!

Wie funktioniert das?

Mich überzeugt die Erklärung, die man mit einem Wort benennen kann: Größenkonstanz. Normalerweise multipliziert unser Wahrnehmungssystem die Bildgröße auf der Netzhaut mit der vermuteten Entfernung, um so auf die richtige Größe zu kommen. Über die Entfernung des Mondes weiß unser Wahrnehmungssystem nichts, außer “weit”, und nimmt eine Standardentfernung an (“default“, einige Kilometer). Der Mond am Horizont ist “hinter den Bergen”, weiter als die Standardentfernung; somit erscheint er größer als der Mond am Zenit bei ja identischer Bildgröße auf der Netzhaut. Weil die “Standardentfernung” von Mensch zu Mensch schwankt, schwankt auch die Stärke der Mondtäuschung.

Ganz merkwürdig: wenn man sich bückt und zwischen den Beinen hindurch blickt, dann nimmt die Mondtäuschung ab (Coren 1992, Higashiyama & Adachi 2006)! Das zeigt den Einfluss den Kontextes auf die Größenkonstanz.

Das Sujet scheint mir verwandt mit Spitzwegs “Der arme Poet” (1839). Daumier hat mit “Poète dans la mansarde” (1842) und “Locataires et Proprietaires: Brigand de proprietaire” (1847) das Thema noch mehrfach aufgegriffen.

Quellen

Rock I, Kaufman L (1962) The Moon Illusion, I: Explanation of this phenomenon was sought through the use of artificial moons seen on the sky. Science 136:953–961

Rock I, Kaufman L (1962) The Moon Illusion, II: The moon’s apparent size is a function of the presence or absence of terrain. Science 136:1023–1031

Rock I (1984/1995) Perception. New York: W.H. Freeman, Scientific American Library. Sehr schönes Buch!

Coren S (1992) The moon illusion: a different view through the legs. Percept Mot Skills. 75:827–831

Kaufman L, Kaufman JH (2000) Explaining the moon illusion. PNAS 97:500–505 [PDF]

Ross HE and Plug C (2002) The mystery of the moon illusion: Exploring size perception. Oxford University Press. ISBN 0 19 850862 X

Higashiyama A, Adachi K (2006) Perceived size and perceived distance of targets viewed from between the legs: Evidence for proprioceptive theory. Vision Res 46:3961–3976

Donald E. Simanek has a nice overview of various moon-illusion explanation attempts

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