Den Blinden Fleck sehen

Optische Täuschungen & Sehphänomene von Michael Bach

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Was sehen wir hier?

Die Zeichnung zeigt eine „Innenperspektive“ (Mach 1900) beim Blick aus dem rechten Auge heraus: oben die Augenbrauen, links die Nase. Man sieht das tatsächlich, wenn man das linke Auge schließt, und „zum Glück“ werden diese Strukturen normalerweise ausgeblendet. Nun eine Gymnastikübung (das linke Auge ist dabei geschlossen): Beide Arme ausstrecken, Hände nach oben klappen, Faust mit ausgestrecktem Zeigefinger machen, die Daumen zur Mitte hin ausstrecken und sich gerade berühren lassen.

Wenn man das richtig macht (Arme wirklich gerade, ebenso die Daumen) und mit dem einzig offenen rechten Auge auf die linke Zeigefingerspitze schaut, dann liegt die Spitze des rechten Zeigefingers bei den meisten Menschen etwa bei 14° Exzentrizität im temporalen Gesichtsfeld. Damit liegt sie im blinden Fleck¹ und verschwindet.

Wenn alles funktioniert, kann man weiter experimentieren. Oben schrieb ich „verschwindet“, aber was sieht man denn an Stelle der Fingerspitze? Das probiert man am besten auf verschiedenen Hintergründen aus.

Kommentar

Es zeigt sich, dass an der Stelle des blinden Flecks stattdessen der Hintergrund „eingefüllt“ wird – das gilt nicht nur für Helligkeit und Farbe, sondern auch in gewissem Maße für Muster. Locker formuliert: Das Gehirn denkt „ja ja, ich weiß, da kommt nichts ’rein, wird schon irgendwie so aussehen wie drumherum“. Dieses wird im allgemein als Einfüllphänomen (filling-in) bezeichnet. Wie das genau funktioniert, ist nicht bekannt. Weil sogar Muster eingefüllt scheinen, muss das ein sehr differenzierter Vorgang sein. [Ja, die Hände sind in der Abbildung seitenverkehrt.]

Quellen

von Helmholtz H (1909) Handbuch der physiologischen Optik. 2. Band, S 24ff. Voss, Hamburg/Leipzig

Abbildung modifiziert nach „Selbstportrait aus der Innenansicht“ / „Innenperspektive“ aus Ernst Mach (1900) Die Analyse der Empfindungen, S. 15.


¹Blinder Fleck?

Die Sehnervenpapille (Papilla nervi optici) ist am Augenhintergrund der Austrittsort von zirka 1 Millionen unmyelinisierter Axone (“Nervenfasern”) der retinalen Ganglienzellen, die über die Bipolarzellen von den Photorezeptoren (“Sehzellen”) angesteuert werden. Sie verlassen dort den Augapfel als Sehnerv in Richtung Gehirn. Da die Papille keine Photorezeptoren enthält, verursacht dies einen “blinden Fleck” im Gesichtsfeld. Es ist ein sog. negatives Skotom (griech.: skotos = Dunkelheit). Negativ, weil es – im Gegensatz zum positiven Skotom – beim normalen Sehen nicht bemerkt wird. Der blinde Fleck wird schon deshalb normalerweise nicht erkannt, weil er für jedes Auge an anderer Stelle im Gesichtsfeld ist und so praktisch immer das eine Auge den blinden Fleck des anderen ausgleichen kann.

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