Pulfrich-Effekt

Optische Täuschungen & Sehphänomene von Michael Bach

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Was sehen wir hier?

Zuerst müssen wir uns eine Sonnenbrille besorgen und ein Glas über ein Auge halten, wie im Bild links, und dann mit beiden Augen die Animation oben anschauen. Es kann eine Weile dauern, aber sollte plötzlich Tiefe in drei Schichten zu sehen sein: Alle Punkte, die sich schnell nach rechts bewegen, befinden sich in einer Schicht (z. B. in der Nähe), die langsamen Punkte bilden eine weitere Schicht und die sich schnell nach links bewegenden Punkte bilden eine dritte Tiefenschicht (z. B. weit).

Man kann experimentieren, indem man das Glas auf’s andere Auge wechselt: Wenn sich das Glas vor dem rechten Auge befindet, sollten die sich nach rechts bewegenden Punkte näher sein. Dunkles Glas auf dem linken Auge: Die nach rechts wandernden Punkte sollten die weiter entfernte Schicht bilden. Ändern der Geschwindigkeit in sinnvollen Grenzen: langsamere Geschwindigkeit → weniger Tiefe, höhere Geschwindigkeit → mehr Tiefe.

Übrigens: Sowohl die langsame Abwärtsbewegung als auch die Farben sind nur Verzierung und für den Pulfrich-Effekt nicht notwendig.

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Im Netz gibt es dazu schon so viele Erklärungen, dass ich mich kurz fasse. Grundsätzlich führt die verringerte Leuchtdichte im abgedeckten Auge zu einer langsameren Verarbeitung in den Photorezeptoren, nach der Regel
     „10× dunkler ≈ 10 ms langsamer“.
Dadurch hinkt die wahrgenommene Position beim abgedeckten Auge etwas hinterher. Positionsunterschiede zwischen den Augen an entsprechenden Stellen der Netzhaut werden in unserem Gehirn als unterschiedliche Tiefe interpretiert, denn genau das passiert, wenn sich Objekte tatsächlich unterschiedlich weit von uns entfernt befinden →Stereosehen, mittlerweile weithin aus 3D-Filmen bekannt.

Manche Leute sehen die Tiefenschichten auch ohne Verdunkelungsfilter. Dies geschieht zum Beispiel bei unterschiedlich großen Pupillen („Anisokorie“). Der Pulfrich-Effekt kann von Augenärzten/Neurologen auch zur Diagnose entzündlicher Erkrankungen des Sehnervs eingesetzt, da Entzündungen die Reizleitungsgeschwindigkeit verlangsamen.

Interessanterweise war der Physiker Pulfrich auf dem linken Auge blind und konnte diesen Effekt daher nie selbst beobachten! Er leitete es vielmehr theoretisch (zusammen mit Fertsch) ab, um systematische Fehler zu erklären, die auftraten, wenn Stereobilder (z. B. aus Flugzeugen aufgenommen) manuell in „Stereokomparatoren“ analysiert wurden, um bei Zeiss topografische Karten zu erstellen.

Zur Demonstration des Pulfrich-Phänomens wird typischerweise ein Pendel eingesetzt. Das hatte ich in meiner Emeritierungs-Vorlesung an meiner Universität verwendet, fand aber, dass der Effekt unzuverlässig ist: Es ist schwierig, das Pendel wirklich nur in einer Ebene schwingen zu lassen und nicht in einer Ellipse; also muss man eine Doppelband-Aufhängung verwenden, was in einem Hörsaal schwierig zu montieren ist. Also folgte ich einem Hinweis von Blelb und programmierte die vorliegende Demonstration.

Vor etwa 25 Jahren sorgte der Pulfrich-Effekt für kurze Zeit in der Unterhaltungsbranche (Fernsehen usw.) für Aufsehen, wo behauptet wurde, er könne einer bewegenden Szene Tiefe verleihen. Es wurden Spezialbrillen verkauft (nichts anderes als Einaugen-Sonnenbrillen) und entsprechende Sonderprogramme produziert. Das Problem ist natürlich, dass Bewegungsrichtung und -tiefe immer miteinander verflochten sind! Was sich also nach rechts bewegt, scheint näher, was sich nach links bewegt, ist weiter entfernt – oder umgekehrt, je nachdem, welches Auge den Dunkelfilter trägt. Ein Karussell wäre also prima, aber nur wenn es sich in die richtige Richtung dreht. Generell ist die Verschränkung von Bewegungsrichtung und -entfernung natürlich nicht akzeptabel, daher verschwand die Mode schnell …

Quellen

Pulfrich 1922 – Scans der Originalarbeit und mehr

Pulfrich-Effekt bei Wikipedia

Christianson S, Hofstetter HW (1972) Some Historical Notes on Carl Pulfrich. Am J Optomet Arch Am Acad Optomet 49:944–947

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