Allergrößtes Verständnis habe ich dafür, dass Frauen sauer sind – zu lange hatten sie weniger Rechte und Möglichkeiten. Heute ist das etwas besser, aber noch nicht gut genug. Mir ist auch klar, dass ich als Mann mich kaum richtig in die Situation der Frauen einfühlen kann, die lebenslang unter unerbetenen Rollenzuschreibungen leiden. Zudem: selbst wenn man wegen des bias beim “gender pay gap” zu unterschiedlicher Höhe kommen kann (→maiLab), ist er sicher da.

Leider wird inzwischen die Frage des sprachlichen Ausdrucks für politische Zwecke missbraucht. Daher: untiges einfach “in die rechte Ecke” zu stecken, trifft es nicht. Ich bin auch für Gender-Berücksichtigung in der Wissenschaft, ganz besonders in der Medizin (gute Begründungen dazu in diesem “Forschung und Lehre”-Artikel¹). Der berechtigte Ärger über die Situation führt zum Pendeleffekt: jetzt wird an manchen Stellen übertrieben – aus meiner Sicht.
¹Allerdings wird da auch etwas über’s Ziel hinausgeschossen, “… wenn Hautkrebs bei People of Color oder Tätowierten durch Machine Learning signifikant schlechter erkannt wird als bei Weißen”: Da braucht man nicht zu fragen ob “Datensätze gerecht” sind, das ist rein technisch (Farbkontrast) erheblich schwieriger, wie ich von Ingenieurseite höre. Da ist das Problem auch schon lange bekannt und wird bearbeitet.

Aktualisierungen


Mein Anliegen

Der “Genderstern” stört und ist keine Lösung. Wenig bekannt: Er steht nicht (nur) für die Inklusion von Frauen, sondern von “Nichtbinäre” (Wikipedia) – im Prinzip ehrenwerte Anliegen. Das generische Maskulinum wird nicht gewürdigt, dabei: wäre es nicht generisch, könnte man gar keine -in/innen-Form bilden. Auch wäre ein Satz wie “unseren Grundschulen fehlen männliche Lehrer” tautologisch (→sehr gutes neues Buch von Fabian Payr {den ich aus einem anderen Kontext persönlich kenne und schätze}, nicht nur dazu). Als Mann stört es mich in keiner Weise, dass “Waise” oder “Geisel” weibliches Wortgeschlecht haben. Nun ist diese Sichtweise des generischen Maskulinums offenbar manchen nicht genug, und statt der “Binnenmajuskel” (BürgerInnen) wird der Stern gesetzt.

Den Stern halte ich für besonders ungeeignet: (1) Er ist schon für Fußnoten vorbesetzt, (2) er stört die unbewusste Leseblicksprung-Strategie und (3) schafft neue Ausgrenzungen.

Zu (1): Der Stern ist daher zunächst mal ein Rechtschreibfehler ;)

Zu (2): Der * ist anders als alle anderen Buchstaben, und daher zieht er automatisch den Blick auf sich, er hat die sog. “pop-out”-Eigenschaft. Damit wird der Fluss meiner automatischen Blicksprünge beim schnellen Lesen laufend unterbrochen. Das nervt mich leider sehr, ich empfinde den * als Mikroagression.

Zu (3): Zu neuen Ausgrenzungen weiß ich bislang zwei große Personengruppen: zum einen alle Sehbehinderte, die Vorlesegeräte einsetzen, und die Legastheniker. Die Lesegeräte werden durch den ‘*’ und auch den ‘:’ “gekillt”; bei Legasthenikern wird es der Pop-out-Effekt sein (zum Mechanismus kenne ich aber keine Daten, das ist nur eine Vermutung von mir). Stefan Schleym benennt Beispiele für “neue Ausgrenzungen” und dass eine reine Sprachregelung nichts gerechter macht.

Wo bleibt nun das Positive? Hier eine Tabelle möglicher Lösungen mit meinen Einschätzungen:

VerfahrenVorteil(e)Nachteil(e)
generisches Maskulinumkorrekt, kurzwird als ausgrenzend vermutet
Liebe Bürgerinnen und Bürger…deutliche Betonung, dass beide Geschlechter gemeint sindumständlich
BinnenMajuskelstarke Betonung, dass beide Geschlechter gemeint sind –
 *   (Stern)(zu) starke Betonung, dass beide Geschlechter gemeint sindpop-out, starke Leseschwierigkeiten
 :   (Doppelpunkt)deutliche Betonung, dass beide Geschlechter gemeint sindLeseschwierigkeiten je nachdem, stört Blindenlesegeräte
 _   (Unterstrich)(zu) starke Betonung, dass beide Geschlechter gemeint sindhäßliches Schriftbild
 /   (Schrägstrich)deutliche Betonung, dass beide Geschlechter gemeint sind


Meine Schlussfolgerungen:

  • Das generische Maskulinum wäre weiterhin das beste, ist aber durch vorauseilende Bücklinge vor “politischer Korrektheit” bedroht
  • Binnenmajuskel finde ich ok
  • Von Satz zu Satz abwechseln zwischen weiblicher und männlicher Form ist auch nett
  • Wenn es denn ein Zeichen im Wort sein soll: dann erscheint mir der Schrägstrich als tragbarer Kompromiss
  • Insgesamt bin ich eher frustriert: Ich glaube nicht, dass verordnete Sprachveränderung die Stellung der Frauen stärkt – in der türkischen Sprache gibt es gar keine Geschlechter, ohne dass man das Gefühl hat, dass es dort hilft. Jedes Gegendere deligitimiert das generische Maskulinum (Payr)). Ich fand schon immer Frauen die besseren Menschen (echt), aber der Stern muss nicht sein. Da hilft es auch nicht, dass die Gesellschaft für deutsche Sprache von Gendersternen abrät.


FAQ und Neues

  • Ich könnte mich doch wohl an den * gewöhnen? Ja, aber warum neue Hürden schaffen wenn es anders geht?
  • Ist das denn so wichtig? →Nein.
  • Verhalte ich mich denn selbst richtig? Eigenwahrnehmung und Sachverhalt mag da auseinander klaffen (z.B.: implicit association test)

  • Diesen Text habe ich im Juli 2021 verfasst überarbeite ihn immer wieder, sobald mich neue Gesichtspunkte oder Daten überzeugen. Oder ich an meiner Einschätzung zweifle…

Ich suchte ein Browser-Plugin, das die Sterne durch ‘/’ ersetzt 😜.
Juhu, gibt’s, z.B. für Firefox “FoxReplace”. Damit wird jetzt bei mir automatisch auf jeder Seite “* i” mit “/i” ersetzt. Schon mal besser. Und in Safari habe ich’s auch gelöst mit dem userscript-manager TamperMonkey.
Nachtrag: binnen-i-be-gone für Firefox, binnen-i-be-gone für Chrome.